Sind Schuldner und Gläubiger von Kapitalerträgen Geschwister, ist nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 a EStG auf die erzielten Zinsen nicht der Abgeltungssteuersatz von 25 %, sondern der progressive Steuersatz anzuwenden. Aufgrund der typisierenden Betrachtungsweise ist unerheblich, ob die Geschwister sich tatsächlich nahe stehen. § 32d Abs. 2 Nr. 1a EStG ist verfassungskonform jedoch einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur die Fälle eines potentiellen Gesamtbelastungsvorteils erfasst werden (FG Baden-Württemberg, Urteil v. 16.4.2013 - 8 K 3100/11; Revision eingelegt Az.: VIII R 35/13).
Hintergrund: Nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. a EStG in der für das Streitjahr 2009 geltenden Fassung fallen u. a. Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht unter den abgeltenden Steuersatz von 25 %, sondern sind auch weiterhin mit dem individuellen (progressiven) Einkommensteuertarif zu versteuern, wenn Gläubiger und Schuldner "einander nahe stehende Personen" sind. Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG wird durch das BMF-Schreiben v. 22.12.2009 (BStBl I 2010, 94, Tz. 134) u. a. dahingehend eingeschränkt, dass der Darlehensnehmer, wenn er eine natürliche Person ist, Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit oder Vermietung und Verpachtung erzielen und die Darlehenszinsen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten geltend machen können muss. Durch die Änderungen des JStG 2010 ist diese Einschränkung ab dem VZ 2011 auch gesetzlich geregelt worden.
Sachverhalt: Die Klägerin veräußerte u. a. ihre Kommandit-Beteiligung an ihren Bruder. Der Kaufpreis war in drei gleichen Raten zu zahlen. Das Auseinandersetzungsguthaben war vom Tage des Ausscheidens an mit dem Zinssatz für Kontokorrentkredite der Hausbank zu verzinsen. Der Bruder leistete an die Klägerin vereinbarungsgemäß im Streitjahr 2009 die erste und zweite Rate zuzüglich Zinsen in Höhe von insgesamt 39.704 €. Die Klägerin erklärte daraufhin in der Einkommensteuererklärung 2009 Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem Abgeltungssteuersatz von 25 % unterfallen. Das Finanzamt unterwarf die fraglichen Zinsen dagegen dem -höheren- tariflichen Steuersatz, weil der Darlehensnehmer eine nahe stehende Person der Klägerin sei (Hinweis auf § 15 AO) und die Zinsen bei ihm als Betriebsausgaben abzugsfähig seien.
Hierzu führte das Finanzgericht weiter aus: Die Klägerin erzielt durch die Vereinnahmung der Zinsen aus der Stundung des Veräußerungserlöses Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Zinsen sind nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG mit dem tariflichen, progressiven Steuersatz zu versteuern. Der Abgeltungssteuersatz findet keine Anwendung. Die Ausnahmevorschrift will Gestaltungen verhindern, bei denen aufgrund der Steuersatzspreizung betriebliche Gewinne, z.B. in Form von Darlehenszinsen, abgesaugt werden und so die Steuerbelastung auf den Abgeltungssteuersatz reduziert wird.
Die Gefahr einer solchen Gestaltung besteht immer dann, wenn zwischen den handelnden Personen eine Beziehung besteht, durch die der zwischen Fremdkapitalgeber und -nehmer normalerweise bestehende Interessengegensatz eingeschränkt oder aufgehoben wird. Im Streitfall sind Schuldner und Gläubiger der Kapitalerträge Geschwister (Angehörige nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 AO). Sie stehen damit in einer engen familienrechtlichen Beziehung, die typischerweise dazu geeignet ist, den zwischen fremden Dritten bestehenden Interessengegensatz einzuschränken oder aufzuheben. Ob die Klägerin und ihr Bruder tatsächlich einander nahe standen, ist in Anbetracht der typisierenden Betrachtungsweise des Gesetzes unerheblich. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kläger gegen § 32d Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG teilt der Senat nicht. Insbesondere kann die Vorschrift -wie vorliegend- mit dem BMF-Schreiben v. 22.12.2009 (BStBl I 2010, 94, Tz. 134) jedenfalls verfassungskonform einschränkend so ausgelegt werden, dass sie nur die Fälle eines potentiellen Gesamtbelastungsvorteils erfasst.
Hinweise: Das Finanzgericht hat die Revision zum BFH zugelassen (BFH-Az. VIII R 35/13). Es sei höchstrichterlich noch nicht entschieden, wie der Begriff der „nahe stehenden Person" in § 32d Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG auszulegen ist und ob die Vorschrift verfassungsgemäß ist. Das FG Baden-Württemberg hat sich insoweit der Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts angeschlossen (s. FG Niedersachsen, Urteil v. 18.06.2012 - 15 K 417/10). In dem dortigen Verfahren hatten die Kläger eine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die mittlerweile auch Erfolg hatte (BFH-Az. VIII R 9/13).
Anmerkung: Wird z.B. – wie im Streitfall – einem nahen Angehörigen ein Darlehen gewährt und nutzt dieser das Darlehen für Zwecke der Einkünfteerzielung, so wird für die Darlehenszinsen nicht der Abgeltungsteuersatz angewendet (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG). Würde der Darlehensempfänger das Geld jedoch für private Zwecke wie zum Beispiel eine Urlaubsreise verwenden, so unterfielen die Zinseinnahmen hingegen der Abgeltungsteuer.