- Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2008
Für Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2008 kann die Kapitalertragsteuer auch nachträglich berücksichtigt werden (Korrektur der Anrechnung), wenn eine Änderung der Steuerfestsetzung im Hinblick auf die nachträglich bekannt gewordenen Kapitalerträge unterbleibt, weil die Einnahmen aus Kapitalvermögen unter Einbeziehung der nachträglich bekannt gewordenen Kapitalerträge den Werbungskosten-Pauschbetrag (§ 9a EStG a. F.) und den Sparer-Freibetrag (§ 20 Abs. 4 EStG a. F.) nicht übersteigen oder die Steuerschuld aus anderen Gründen trotz Berücksichtigung der nachträglich bekannt gewordenen Kapitaleinkünfte unverändert bleibt (sog. Nullfälle). In diesen Fällen ist insoweit von einer (erforderlichen) Erfassung der Kapitaleinkünfte i. S. d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auszugehen.
Ändert sich die Steuerfestsetzung, so greift die Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, auch wenn es insgesamt (unter Berücksichtigung der bereits einbehaltenen Steuer) zu einer Erstattung kommt.
- Änderungen ab dem Veranlagungszeitraum 2009 (derzeitige Verwaltungsauffassung)
Durch die Einführung der Abgeltungsteuer ist seit dem VZ 2009 - entsprechend der Zielsetzung des § 43 Abs. 5 EStG (Abgeltungswirkung) - eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach Eintritt der Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung nicht mehr möglich, wenn der Steuerpflichtige mit seiner Einkommensteuererklärung keinen Antrag gem. § 32d Abs. 4 oder Abs. 6 EStG gestellt hat.
Aufgrund bundeseinheitlich abgestimmter Rechtsauffassung kommt eine Billigkeitsregelung mit dem Ziel, auch in „0-Fällen“ eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer innerhalb der Zahlungsverjährung zu ermöglichen, nicht in Betracht. Auch bei den Wahlrechten nach § 32d Abs. 4 und Abs. 6 EStG sind die allgemeinen Grundsätze über steuerliche Wahlrechte zu beachten (vgl. AEAO vor §§ 172 – 177, Nr. 8).
Im Übrigen sind Fälle denkbar, in denen dem Steuerpflichtigen erst nach materieller Bestandskraft (vgl. AEAO vor §§ 172 – 177, Nr. 1) des Bescheides noch von anderen Stellen als Banken Unterlagen zugehen, aus denen sich anrechenbare Steuerabzugsbeträge ergeben (z. B. Hausverwaltungsrechnung oder Notaranderkonto). Dabei könnte sich eine Antragstellung erst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Einkommensteuerbescheids als sinnvoll erweisen.
Auch bei derartigen Fallkonstellationen können die Anträge nach § 32d Abs. 4 und Abs. 6 EStG nach Eintritt der Bestandskraft nicht mehr gestellt werden und es bleibt bei der abgeltenden Besteuerung durch den Kapitalertragsteuerabzug.
Diese Rechtsauffassung basiert u. a. auf folgenden Überlegungen:
Die Steuerpflichtigen haben in aller Regel bereits vor Erstellung der Steuererklärung Kenntnis darüber, ob sie mit einer Erstattung einbehaltener Kapitalertragsteuer rechnen können. Dementsprechend besteht die Möglichkeit, rechtzeitig einen Antrag nach § 32d Abs. 4 und Abs. 6 EStG zu stellen. Bereits mit der Anleitung zur Einkommensteuererklärung wird der Steuerpflichtige auf die Möglichkeit der Günstigerprüfung für die Einkünfte aus Kapitalvermögen und die einbehaltene Kapitalertragsteuer hingewiesen. Der Gesetzgeber hat das Rechtsinstitut der Bestandskraft zur Schaffung des Rechtsfriedens bewusst eingeführt.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Verwaltungsauffassung so auch von der Rechtsprechung bestätigt wird.
Damit das Problem in der Praxis möglichst vermieden wird, sollte im Rahmen des Beratungsgespräches gezielt der Bereich „Einkünfte aus Kapitalvermögen/Abgeltungsteuer“ geklärt werden.